Happy Canada Day! – Patriotismus auf die entspannte Art

IMG_3945

Als wir unsere Zugfahrt quer durch Kanada beendet hatten und in Toronto Union Station aus dem Zug stiegen, war es mittlerweile Sonntag, der 01. Juli 2018. (Laut Fahrplan hätte es der 30. Juni sein sollen.) Wir kamen also in Kanadas größter Stadt exakt am größten kanadischen Feiertag an: Dem 151. Canada Day! Sozusagen der Geburtstag der Nation!

Schon bei den Stops auf unserer Fahrt wurden wir auf dieses Ereignis hingewiesen, wie beispielsweise in Cedar Point, das im Gegensatz zu Toronto nur aus einer Handvoll Häuser besteht.

IMG_3942

Aber egal, ob Provinz oder Metropole, die Kanadier feiern „ihren Tag“ ausgelassen und ausdauernd. Das Datum des Feiertags orientiert sich an dem sogenannten „British North America Act“, der am 01. Juli 1867 in Kraft trat und das „Dominion of Canada“ festlegte, dem die Provinzen Ontario, Québec, Nova Scotia und New Brunswick angehörten.  (Weitere Provinzen wie beispielsweise British Columbia und Alberta, die Teil des heutigen Kanadas sind, kamen später hinzu.)

Fathers_of_Confederation_LAC_c001855-597ddb59054ad90011510312

Konferenz der kanadischen „Gründungsväter“ in Quebec 1864

Uns empfing der „Canada Day“ in Toronto als lautes, fröhliches und unbeschwertes Spektakel. Anders als beim 3. Oktober in Deutschland, der oft von bleischweren Reden und Zeremonien begleitet ist und kaum „Feierlaune“ verbreitet, spürte man hier in Toronto eine Atmosphäre, wie man sie als Deutscher am ehesten noch 2006 bei der Fußball WM im eigenen Land erleben konnte.

canada-day-toronto-2018

Kaum ein Bewohner Torontos, der nicht in irgendeiner Art mit den Landesfarben und dem typischen Ahornblatt „geschmückt“ war. T-Shirts, Hüte, Fahnen, hier wurden alle Register gezogen und so mancher kanadische Zeitgenosse bewies wahre Kreativität:

captain-canada-made-his-way-through-the-crowd-on-parliament

Da wird auch Marvels „Captain America“ schon mal zu „Captain Canada“

Natürlich wird auch hier Patriotismus zur Schau gestellt, aber irgendwie auf eine lässige, witzige und auch selbstironische Weise, ohne den aggressiven „America First“ Unterton, wie man ihn in den USA finden kann. Und was sehr auffällt, niemand wird ausgegrenzt. Gerade das, was Patriotismus schnell und gefährlich in den Nationalismus oder schlimmeres abdriften läßt, die bewußte Herabsetzung und Diskriminierung von Minderheiten und vermeintlich „nicht Dazugehörigen“, all das sucht man in Kanada vergeblich. Denn dieses Land, das gerne auch seinen Feiertag auf ein ganzes langes Wochenende ausdehnt, versteht sich als „One Land – Many Nations“.

bannerFinal Woran mag es liegen, dass die Kanadier mit ihrem ureigenen Nationalfeiertag so viel unbeschwerter umgehen können als wir Deutschen? Natürlich wiegt unsere Vergangenheit immer noch schwer, Patriotismus in unserem Land ist keine einfache Sache. Wird vom eher linken Spektrum der Politik schnell vor allzu großer Deutschtümelei gewarnt, wenn nur ein paar schwarz-rot-goldene Flaggen wehen. (siehe zum Beispiel: www.spiegel.de/politik/deutschland/fussball-wm-claudia-roth-fordert-deutsche-fans-zur-zurueckhaltung-auf-a-1213401.html ), wird die „Liebe zum Land“ auf der rechten Seite schnell zum Hass gegen alles vermeintlich „Nichtdeutsche“ umfunktioniert. (https://www.n-tv.de/sport/fussball_wm_2018/Weidel-wettert-gegen-Ozil-und-Guendogan-article20477555.html). Rein und unverfälscht einfach seine Freude auszudrücken über das eigentlich wunderbare Land, in dem wir leben, fällt auch heute, rund 28 Jahre nach der „Wiedervereinigung“ anscheinend immer noch schwer.

Und so blickt man sich als Deutscher in Toronto am 1. Juli staunend um, mit welchem Elan Kanadier ihren Nationalstolz zelebrieren, ohne dabei auch nur einen Moment überheblich, unangenehm oder ausgrenzend zu wirken.

Natürlich hat auch die Geschichte Kanadas dunkle Flecken. Man denke nur an die großflächige Ausrottung der Ureinwohner durch von Europäern eingeschleppte Krankheiten wie die Pocken (teilweise noch vor der offiziellen Staatsgründung). Wirft man aber einen Blick auf das heutige Kanada, fallen sofort einige Dinge sehr positiv auf: Die Nachkommen der Ureinwohner Kanadas, die heute respektvoll „First Nations People“ genannt werden, sind nicht in irgendwelche Reservate verbannt, sondern ein vitaler Bestandteil der kanadischen Gesellschaft. Ein Beispiel habe ich ja in meinem Blogbeitrag https://sabbatkr.wordpress.com/2018/06/20/recycling-made-in-canada/ aufgezeigt.

IMG_2950

Mit dem Verfassungsgesetz von 1982, das quasi eine Ergänzung zum „British North America Act“ von 1867 darstellt, wurde der „Multikulturalismus“ in Kanada zum Staatsprinzip erhoben. Davon sind wir heute in Deutschland, wo die Kanzlerin mal kurz „Multikulti“ für gescheitert erklärte,  noch Lichtjahre entfernt. ( www.spiegel.de/politik/deutschland/integration-merkel-erklaert-multikulti-fuer-gescheitert-a-723532.html ). Wie „Multikulti“ wirklich funktioniert, davon kann man sich beispielsweise in Vancouver überzeugen: 47,1 Prozent der Bevölkerung gehören einer von der kanadischen Statistikbehörde so bezeichneten „visible minority group“ (sichtbare Minderheit, d. h. alle Nicht-Weiße bzw. Nicht-Kaukasier mit Ausnahme von First Nations, Inuit und Métis) an. Vancouver weist mit 7,2 Prozent die höchste Rate an interkulturellen Ehen in Kanada auf (der Landesdurchschnitt beträgt 3,2 Prozent). All diese Zahlen würden bei einem AFD-Wähler wahrscheinlich den Blutdruck in ungesunde Höhen ansteigen lassen oder für ernste Herzprobleme sorgen. Apropos AFD: Wirft man einen Blick auf die aktuelle Zusammensetzung des kanadischen Parlaments (Senat und Unterhaus), sucht man eine rechtsradikale Partei vergebens. Zudem haben die Kanadier einen jungen, liberalen und charismatischen Premierminister anstelle eines narzisstischen Demagogen, wie er im Nachbarland zu finden ist.

trudeai

All dies lässt einem als Deutscher am „Canada Day“ in Toronto bewundernd -und ja auch ein wenig neidisch- auf dieses Land blicken. Kanada ist ein Land in Bewegung, aber in die richtige Richtung. So hat man vor kurzem als erster G7 Staat die komplette Legalisierung von Marihuana beschlossen, ein längst fälliger Schritt zur Entkriminalisierung des Konsums und gleichzeitig ein gewaltiger Schlag gegen die organisierte Kriminalität, die künftig um ihre Milliardenprofite fürchten muss.

It’s been too easy for our kids to get marijuana – and for criminals to reap the profits. Today, we change that. Our plan to legalize & regulate marijuana just passed the Senate.

Justine Trudeau auf Twitter, 19. Juni 2018.

Diese historische Entscheidung des kanadischen Parlaments wurde natürlich auch beim Canada Day gebührend -und mit Kreativität- gefeiert:

kand mar

Nein, an diesem „Canada Day“ hatte ich wahrlich keine Lust mehr, übers Netz Nachrichten aus meiner Heimat zu lesen: Vom kläglichen Versagen der deutschen Nationalmannschaft, vom unsäglichen Masterplan eines gewissen Herrn Horst S. aus Bayern und von akademischen Diskussionen, ob es besser wäre, Menschen im Mittelmeer ertrinken zu lassen, statt sie zu retten. Das alles ist hier auf der anderen Seite des Atlantiks ganz weit weg. Ich werde mich damit wieder beschäftigen müssen, das weiß ich. Aber jetzt feiere ich einfach erstmal mit. Und das am besten, wie die Kanadier es auch machen, mit einem guten Craft-Beer aus einer lokalen Brauerei und einem richtig leckeren Hotdog.

In diesem Prost und guten Appetit: „Happy Canada Day!“

Wir lesen uns……

 

 

 

 

Ein Gedanke zu „Happy Canada Day! – Patriotismus auf die entspannte Art“

Hinterlasse einen Kommentar