„Immer diese Österreicher….“

Treten wir doch mal einen Schritt zurück und schauen uns in Ruhe an, was bisher passiert ist. Eine junge österreichische Kabarettistin steigt binnen kürzester Zeit kometenhaft in den deutschsprachigen Kleinkunst-Olymp auf. Ihr „Kunstfigur“ (so sie denn eine ist) lässt auf der Bühne keine Gelegenheit aus, jedes erdenkliche Tabu zu brechen. Das mag vielen geschmacklos, gar eklig vorkommen, anderen wieder gnadenlos witzig. Ich persönlich habe sehr gelacht über ihren Spruch: „Sie jubeln mir zu, diese Deutschen! Einer an Kunstschulen abgelehnten, grantelnden Österreicherin. Sie lernen einfach nicht dazu!“.

Ob man es mag oder nicht, es ist Kunst, es ist Satire. Satire darf alles, die Kunst ist frei, so weit, so gut.

Dann kam die Sache mit den Juden. In einem Land, das wie kaum ein anderes in der Weltgeschichte schwerste Schuld auf sich geladen hat, wird einer jungen aufstrebenden österreichischen Kabarettistin (wir sprachen gerade bereits von ihr) im öffentlich-rechtlichen Fernsehen die Plattform geboten, übelste und dumpfe antisemitische Klischees auszubreiten. Ironische Brechung? Augenzwinkern? Das Ganze in einen neuen, das Publikum überraschenden und überrumpelnden Kontext setzen? Fehlanzeige. Darf man das? Eine Antwort darauf zu geben ist nicht leicht, wir sind ja immer noch im Bereich von Kunst und Satire. Vielleicht verstehe ich ja auch einfach ihren Humor nicht. Vielleicht ist irgendwo hinter dem Bedienen von antisemitischen Vorurteilen, noch eine zwei, dritte oder vierte Ebene, die sich mir nicht erschließt. Vielleicht bin ich einfach zu dumm dafür. Sei’s drum.

Aber das Publikum lacht, ist begeistert und applaudiert. Und plötzlich erscheint mir „Sie jubeln mir zu, diese Deutschen“ in einem ganz anderen Kontext. Und mir wird übel.

Aber dann sind da noch die, die nicht jubeln. Die sich persönlich getroffen und zutiefst verletzt fühlen. Sie sind die Opfer oder direkten Nachkommen der Opfer, denen wir Deutsche (in erfolgreicher Zusammenarbeit mit einem „Österreicher, dem man auch zugejubelt hat“) Unsagbares angetan haben.

Sie haben jedes Recht, sich betroffen und angegriffen zu fühlen. Kunstfreiheit hin oder her. Sie äußern ihre Betroffenheit, ja ihre tiefe Verletzung öffentlich. Nebenbei bemerkt, auch das ist Meinungsfreiheit.

Und dann kommt Dieter Nuhr ins Spiel.

Eins vorweg: In den späten 90er Jahren war ich ein Riesenfan von Dieter Nuhr, habe ihn vielfach live auf der Bühne gesehen und er war für mich damals eine der wesentlichen Inspirationen, selbst eigene Kabaretttexte zu schreiben und auf die Bühne zu gehen.

Seit einigen Jahren beobachte ich seine „Entwicklung“ mit einiger Fassungslosigkeit. Wäre ich Anhänger von Verschwörungstheorien, würde ich mutmaßen, dass Dieter Nuhr längst ausgetauscht wurde gegen einen Außerirdischen, einen Echsenmenschen, was weiß ich…aber ich kann ihn nicht mehr im Zusammenhang bringen mit dem Künstler, den ich live auf der Bühne gesehen. Aber so ist es halt, jeder Mensch entwickelt sich, in die eine oder andere Richtung. Im Prinzip war er mir dann auch in den letzten Jahren als Zuschauer egal, ich habe ihn „links“ liegen lassen, oder „rechts“, je nach Betrachtungsweise.

Aber jetzt kann ich nicht mehr weggucken. Dieter Nuhr nimmt die „junge österreichische Künstlerin, der die Deutschen zujubeln“ öffentlich in Schutz (ist sein gutes Recht und der Ausschluss vom Hamburger Literaturfestival ist sicherlich diskutabel) und schießt dabei doch übers Ziel hinaus, weit hinaus.

Kritikern jener österreichischen Künstlerin, die auf die unreflektierte Wiedergabe von antisemitischen Klischees hinweisen, werden von Herrn Nuhr in Bausch und Bogen als „böswillig“ oder „geistesgestört“ (oder „eine Mischung aus beidem“) dargestellt.

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Schauen wir doch bitte mal genau hin: 75 Jahre nach dem Holocaust, nach der Befreiung von Ausschwitz und anderen Vernichtungslagern, nur wenig Zeit nach einem versuchten Anschlag auf eine jüdische Synagoge mitten in Deutschland, die tragischerweise zwei Todesopfer forderte und doch noch weitaus verheerendere Folgen hätte haben können, stellt sich ein vielfach preisgekrönter und in dem Medien omnipräsenter Kabarettist hin und brandmarkt folgende jüdische und/oder israelische Organisationen als „böswillig“ oder „geistesgestört“, im schlimmsten Falle beides:

  • Der Zentralrat der Juden in Deutschland
  • Die Deutsch-Israelische Gesellschaft (DIG)
  • Das American Jewish Committee (AJC) Berlin
  • Der Bundesverband RIAS (Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus)
  • Das jüdische Forum für Demokratie und gegen Antisemitismus (JFDA)
  • Die Jüdische  Studierendenunion Deutschland (JSUD)

Die Liste mag gar nicht vollständig sein; aber eine erste Recherche zeigt, dass Vertreter eben dieser Organisationen deutliche Kritik am Auftritt der „Österreicherin“ geäußert haben und auf die –aus ihrer Sicht- bedenkenlose Nutzung antisemitischer Stereotypen um ein paar Schenkelklopfer willen hingewiesen haben.

Wir leben mittlerweile in einem Land, dass –wie Vertreter von RIAS- richtigerweise sagen- von einem „allgemeinen Sinken der Hemmschwelle in Bezug auf antisemitisches Handeln gekennzeichnet ist, was sich wiederum in einem hohen Bedrohungsgefühl bei Jüdinnen und Juden, die in Deutschland leben, festmacht.“

Für Herrn Nuhr sind diese Menschen schlichtweg „geistesgestört“.

Und für diese Äußerung bekommt er auch noch breite Zustimmung in den „sozialen“ Medien.

Jetzt ist mir wirklich übel.

Wir lesen uns!

 

 

 

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